Die mentalen Herausforderungen bei der Wiederaufnahme der Profi-Rad Wettkampfsaison

Das Profi-Radsportteam Trek-Segafredo hatte zu Beginn dieser Saison einen fulminanten Start, bis alles wegen des Coronavirus zum Erliegen kam. Alle Rennen wurden aus dem Kalender gestrichen und unsichere Zeiten folgten. Die Herausforderung liegt in der mentalen Stärke, den Geist am Leben zu erhalten. Die gilt für all Mitglieder des Teams und für die Fahrer selbst. Wir sprachen mit Josu Larrazabal, dem Leistungschef des Teams, darüber, wie schwierig es war, den Kämpfergeist während der Sperrpause hoch zu halten und welche neuen Herausforderungen den Fahrern in der kommenden zweiten Saisonhälfte bevorstehen. 

Fliegender Start

Larrazabal arbeitet seit 2013 für das Team und kümmert sich um die gesamte multidisziplinäre Arbeit für das Team und die Fahrer. Neben einer Gruppe von sieben Fahrern, die er direkt trainiert (sowohl Männer als auch Frauen), koordiniert und leitet der Spanier auch eine Gruppe von Trainern, Ärzten und dem Ernährungsberater.

In der vergangenen Saison erzielte das Team einige gute Ergebnisse. Dazu zählten ein Sieg beim Giro d’Italia und mit Bauke Mollema den Il Lombardia, einen der fünf Monumente des Radsports. Mit dem Gewinn der Weltmeisterschaft durch Mads Pedersen hat das Team auch das begehrte Regenbogentrikot in seiner Armada.

Während des Winters setzte das Team alles daran die Siegessträhne beizubehalten. Mit einem Doppelsieg durch Richie Porte und Ruth Winder bei der Tour Down Under, Jasper Sutyven bei der Eröffnung der Classics-Kampagne in De Omloop sowie einem vierten Platz in der Gesamtwertung in Paris-Nizza durch keinen Geringeren als Vincenzo Nibali, gelang ihnen dies sehr gut.

Der italienische Star kam in diesem Jahr zu Trek-Segafredo und hat laut Larrazabal einen großen Einfluss auf die Mannschaft. „Wenn man ihn mit Porte und Mollema zusammenbringt, hat man bei jedem Etappenrennen über eine Woche oder auch bei einer Grand Tour sehr gute Chancen ein gutes Ergebnis zu erzielen.“ Der „Hai von Messina“ hat eine lange Erfolgsliste im Repertoire und gewann unter anderem die Tour de France und den Giro d’Italia (gleich zweimal!). Dabei gilt er als einer der größten Fische im Peloton.

Die Herausforderungen während des Lockdowns

Es schien keine Wolke am Himmel zu sein, bis immer mehr Rennen abgesagt wurden und dann die ganze Saison ausfiel. „Rückblickend betrachtet war es eine große mentale Herausforderung. Wir haben 40 Fahrer zu managen, also hatten wir sehr viele verschiedene Möglichkeiten, darauf zu reagieren. Sie alle fahren leidenschaftlich gerne Rad, aber sie werden alle von den Zielen und dem Wettkampfgefühl angetrieben. Sie brauchen dieses Adrenalin. Wenn man die Rennen aus dem Kalender streicht, fällt das alles weg. Obwohl wir es wussten, waren wir überrascht, wie sehr einige der Fahrer davon betroffen waren.“

Das Team überwachte die Trainingsbelastung während des Lockdowns. Larrazabal sagte, es gab offensichtlich drei Perioden. Im ersten Monat war alles in Ordnung und die meisten Fahrer hielten sich an ihre Routinen. In diesem Monat hoffte man, dass alle wieder relativ schnell in den Rennsport zurückkehren könnten. Der zweite Monat war der Schwierigste, weil dies die ungewisseste Phase war. Ihnen wurde klar, dass es lange dauern würde, da immer mehr Rennen abgesagt oder verschoben wurden, sogar die Tour de France.

Diese Zeit war mental die Schwerste und die Fahrer hatten alle auf unterschiedliche Weise damit zu kämpfen. Das Team beschloss ihnen Pausen einzuräumen, um damit klar zu kommen. In der dritten Periode wurde der neue Rennkalender erstellt. Das war eine große Veränderung für die Fahrer. „Die Erleichterung für die Fahrer war unglaublich“, sagte Larrazabal. „In der ersten Woche dieses dritten Zeitabschnitts hatten viele von ihnen eine enorme Trainingsbelastung. Sogar die Fahrer, die immer noch nur drinnen fahren durften. Wir mussten sie wirklich beruhigen. Als alle wieder draußen fahren konnten, machten wir einen großen Ausdauerblock, ohne den Schwerpunkt auf die Intensität zu legen. Sie mussten die Freiheit wieder genießen, aber diesmal mit einem klaren Ziel, das machte den Unterschied.

Die Erkenntnisse

Wieder einmal wurde dem Team klar, dass der mentale Faktor immer an erster Stelle steht. „Man lernt aus den Situationen, in welchen die Motivation die größte Herausforderung ist, dies zu akzeptieren und dass man sich dann nicht nur um sein körperliches Training kümmert. Ich denke, wir haben es sehr gut gemacht. Darauf haben wir uns wirklich konzentriert. Wir haben sie nie gedrängt, auch nicht diejenigen, die viel zu kämpfen hatten und nicht so viel trainierten. Ich bin zufrieden damit, wie die Trainer und Sportdirektoren das Problem angegangen sind. Ich glaube wir haben gute Arbeit geleistet“.

Der Lockdown sorgte aber nicht nur für Untergangsstimmung. Das Personal und die Fahrer sind normalerweise ständig unterwegs und haben wenig Zeit für Freunde und Familie. „Wir sahen uns in einer völlig neuen Situation und konzentrierten uns mehr auf unser persönliches Leben. Das Leben zeigt einem von Zeit zu Zeit, wie man sich wieder um die kleinen Dinge kümmern kann.“

Letzte Vorbereitungen

Im Juli hatte das Team mehrere Trainingslager, meist in großen Höhen, um sich auf die Bergetappen der Grand Tours vorzubereiten. „Es war für alle etwas ganz Besonderes, sich im wirklichen Leben wiederzusehen. Der Schwerpunkt der Trainingslager bestand darin, sie wissen zu lassen, wie wichtig es ist, das gleiche Niveau und den gleichen Ansatz wie zu Beginn dieser Saison zu erreichen. Sie alle sind geistig und körperlich bereit. Die Motivation ist jetzt super hoch und davon brauchen wir noch mehr als je zuvor, um wieder gut bei den Rennen dabei zu sein!“ Larrazabal betont, dass die richtige Ausrüstung ihnen auch zu einem starken Comeback verhilft. Der Garmin Edge® mit der ClimbPro-Funktion ist ein gutes Beispiel dafür. „Dieses Feature macht in den Rennen ein Unterschied und unsere Fahrer nutzen und mögen es sehr gerne. Bei hügeligen Rennen gibt es viele Anstiege, aber als Sportdirektor kann man nicht alle definieren. Es wäre auch zu viel Information, ihnen über jede kleine Steigung im Radio zu berichten. Deshalb laden wir jetzt die GPX-Dateien in die Garmin-Geräte, und sie können diese Informationen automatisch sehen. Sie benutzen sie fast alle und geben uns immer ein gutes Feedback dazu.“

Die gleichen Rennen, andere Bedingungen

Es ist fast Zeit für den Neustart der Saison, die mit einigen großen italienischen Klassikern beginnt. Das Team freut sich sehr darauf wieder Rennen zu fahren. Larrazabal ist jedoch auf der Hut vor den neuen Herausforderungen, denen sich die Fahrer stellen müssen, und arbeitet sie nach und nach ab:

Enger Kalender
Erstens haben wir einen sehr hektischen Kalender mit vielen Rennen in einer sehr kurzen Zeitspanne. „Die großen Ziele sind diesmal von Anfang an näher gerückt. Man muss vom ersten Rennen an dabei sein. Normalerweise hat man ein paar Monate Zeit, um sich für eine Grand Tour in Form zu bringen, aber jetzt starten wir Anfang August und dann innerhalb von 25 Tagen die Tour de France. Das wird einen großen Einfluss haben und ich erwarte ein wirklich hohes Niveau vom ersten Rennen an.“

Wetterkonditionen
Dann gibt es eine große Verschiebung im Kalender mit Rennen, die unter anderen Wetterbedingungen stattfinden. „Die größten Unterschiede werden bei der Tour de France und La Vuelta auftreten. Die Hitze ist im Juli in Frankreich nicht die gleiche wie im September. Fahrer, die normalerweise mit der Hitze zu kämpfen haben, werden diesmal bessere Chancen haben, bei der Tour gut abzuschneiden. Für die Vuelta wird das Wetter völlig anders sein. Mitte August könnte die Temperatur auf über 37 Grad ansteigen, aber jetzt im Oktober und sogar auf den letzten Etappen im November wird die Hitze kein Problem mehr darstellen. Für den Giro und die kopfsteingepflasterten Klassiker erwarte ich, dass es ganz ähnlich sein wird, denn das europäische Wetter kann im Frühjahr genauso unberechenbar sein wie im Herbst.“

Mentale Herausforderung
Bei einer so kurzen Saison bleibt kaum Zeit, sich nach einem Rückschlag geistig zu erholen. „Es besteht kein Zweifel an der mentalen Notwendigkeit der Rennen, sie wollen sich selbst testen und von Anfang an sehen, wo sie stehen. Dann geht es darum, die Form in der kurzen Saison optimal zu managen. Vom physischen Standpunkt aus können wir das hohe Niveau in den kommenden drei Rennmonaten halten. Aber die Herausforderung wird die mentale Seite sein, und das hat einen enormen Einfluss auf Ihre Form. Einfach ausgedrückt, die Form hängt zu 50% von Ihrer körperlichen und zu 50% von Ihrer geistigen Verfassung ab. Wenn also die mentale Seite nach einem Sturz oder einer großen Enttäuschung nicht da ist, dann ist das etwas, was in dieser kurzen Saison schwer zu handhaben ist. Das nächste Rennen steht schon bald vor der Tür.“

Biologische Herausforderung
Dann gibt es etwas, über das Sie vielleicht noch nicht nachgedacht haben: den Einfluss der Jahreszeit. „Im Allgemeinen gibt es Fahrer, die im letzten Teil der Saison immer sehr gut abgeschnitten haben. Das hat mit den biologischen Rhythmen und der mentalen Einstellung zu tun. In diesem Jahr kehren wir am Ende der Saison fast wieder in den Winter zurück, wenn die Vuelta am 8. November zu Ende geht. Nach so vielen Jahren mit unseren Zeitreferenzen kann dies für einige schwierig sein. Der Oktober ist normalerweise der Moment für die Pause, im November beginnt die neue Trainingsperiode und im Dezember finden die ersten Trainingslager mit den Teams statt. Dies ist vollständig in unsere biologische Uhr integriert. Ich denke, das wird Auswirkungen haben.“

Aggressivere Rennen
Und schließlich gibt es viele Teams, die wegen des Coronavirus finanzielle Probleme haben und viele Fahrer haben deshalb keinen Vertrag für das nächste Jahr. Sie wollen sich beweisen, um sich einen Vertrag zu sichern und könnten in den Rennen aggressiver sein. „Das wird zweifellos eine große Sache sein und einen großen Einfluss haben. Glücklicherweise ist das bei Trek-Segafredo nicht der Fall und dafür müssen wir ihnen sehr dankbar sein. Die Botschaft des Teams während des Lockdowns war von Anfang an stark und solide. Das kann im zweiten Teil der Saison den Unterschied ausmachen, sowohl für die Fahrer als auch für den Stab. Wir haben Trek etwas zurückzugeben und das dürfen wir nicht vergessen.“

Mit Blick auf die Ziele, die sich das Team für die verbleibende Saison gesetzt hat, wird Trek mehr als glücklich sein, wenn diese erfüllt werden können. „Unsere Ziele sind der Gewinn eines der großen Klassiker in der Kopfsteinpflaster-Kampagne mit Stuyven und Pedersen. Außerdem ein Etappensieg bei jeder Grand Tour, eine Top-Fünf-Platzierung bei der Tour de France mit Mollema oder Porte und natürlich der Sieg beim Giro d’Italia. Mit Nibali haben wir einen Fahrer, der sie gewinnen kann, das ist also unser Ziel!“